Interview mit Lucinda Flynn (Fantasy und Science Fiction Schriftstellerin)

Lucinda Flynn ist ihres Zeichens Autorin, Lektorin und Content Creator. 2021 veröffentliche sie ihren Debütroman Die Erbin des Windes. Der Erfolg dieses Buches machte sie zu einer der vielversprechendsten jungen deutschsprachigen Fantasy-Autoren. Ein Jahr später folgte der Science Fiction-Roman Code X.
Glücklicherweise ergab sich die wunderbare Gelegenheit, dieses Interview zu führen. Ich wünsche euch viel Spaß damit!

Meine Kritiken: Guten Tag Frau Flynn! Sie zählen zu den vielversprechendsten jungen deutschsprachigen Fantasy- & Science-Fiction-Autoren. Woher kommt das Interesse für diese Genres? Worin liegt die Faszination für Sie?

Lucinda Flynn: Danke für das Kompliment! Ich glaube, Phantastik hat mich schon immer fasziniert, und war seit meiner Kindheit und Jugend ehrlich gesagt das einzige Genre, das mich interessiert hat. Vielleicht liegt es daran, dass viele zwischenmenschliche Konflikte (wie beispielsweise in Romanen ohne Phantastik) für mich damals schwer zu greifen waren. „Wir müssen den bösen Schattenlord besiegen“ war etwas, das ich immer gut verstehen konnte. Heute ist die Phantastik natürlich um einiges vielschichtiger und facettenreicher, aber mit den Konflikten konnte ich immer viel anfangen. Ich habe als Jugendliche zum Beispiel nie wirklich „Die Tribute von Panem“ verstanden. Gerade am Ende – Achtung, Spoiler – habe ich nie verstanden, warum es für das Kapitol ein Problem wäre, hätten Peeta und Katniss sich gleichzeitig selbst umgebracht. Heute verstehe ich diesen Kniff natürlich, aber damals waren offensichtlichere Konflikte für mich immer greifbarer. Und diese Liebe zum Genre ist geblieben. Obwohl ich langsam auch anfange, mich für andere Genres zu interessieren!
Was ich heute noch an der Phantastik liebe, ist aber wohl die Tatsache, dass man die immerselben Konflikte, die sich in der Literatur wiederfinden, in neue Kontexte und Kleider, wenn man so will, stecken kann. Jede Geschichte lässt sich auf einen Grundkonflikt oder eine Grundfrage herunterbrechen – hoch gestochen ist das die Prämisse. Ich könnte zehn Romane über die Frage schreiben, ob der Mensch einen freien Willen hat, aber ich kann die Geschichte an einer magischen Akademie erzählen, mit Drachen, mit Elfen, Nymphen, in einer dystopischen Science-Fiction-Welt. Die Phantastik bietet unfassbar viel Spielraum, diese Fragen zu verarbeiten. Und das finde ich so toll.

MK: Ihr neuer Roman heißt „Code X – Das Erwachen der Cybertechs“. Können Sie uns kurz sagen, worum es dabei geht?

LF: Ich könnte hier den Klappentext einfügen, aber kurz gesagt geht es um die Verschmelzung von Mensch und Daten, und um die Frage, was Menschlichkeit definiert und bedeutet. Das ist insbesondere für die Künstlichen Intelligenzen eine zentrale Fragestellung.

MK: Was war zuerst da – die Story oder eine Figur aus dem Buch?

LF: Ich würde sagen, am ehesten ein Konzept – und zwar das Konzept, dass die Gehirne von Menschen so verändert werden, dass sie in der Lage sind, mit ihren Gedanken Software zu beeinflussen. Diese Vorstellung finde ich so cool. Und das Feeling der Welt, dieses neonfarbige, vom Kapitalismus völlig zerfressene Welt.

MK: Ich persönlich finde Cyberpunk sehr spannend. Es ist eins meiner liebsten Settings. Haben Sie diesbezüglich irgendwelche Vorbilder oder wie sind Sie in diese Welt gelangt?

LF: Ich bin über Pen and Paper zu Shadowrun gelangt und liebe die Welt wirklich über alles. Shadowrun ist zwar, laut Entwicklern, kein Cyberpunk, und viele Aspekte, die Shadowrun bedient, hat Code X nicht, aber ich denke, dass Shadowrun Fans sich in der Welt von Code X definitiv zuhause fühlen werden!

MK: Planen Sie eine Rückkehr zu Cyberpunk, bzw. zu Science-Fiction allgemein oder möchten Sie lieber andere Settings ausprobieren?

LF: Bisher habe ich kein Buch speziell in dem Setting angelegt, obwohl ich mir für Code X einen zweiten Band vorstellen könnte, das liegt allerdings nicht in meiner Hand. Im Moment stehen aber andere Themen definitiv im Vordergrund – unter anderem ein Projekt, das absolut nichts mit Fantasy zu tun hat!

MK: Gemeinhin wird ja gesagt, dass gute Science-Fiction immer einen Gegenwartsbezug hat, egal ob nun moralisierend und warnend oder nicht. Wie sehen Sie das?

LF: Ich kann nicht für Science-Fiction im Allgemeinen sprechen, weil ich in dem Genre nur sehr bedingt Expertise habe, für Cyberpunk würde ich dem aber auf jeden Fall zustimmen. Das Genre ist inhärent politisch, weswegen ich immer ein bisschen lachen muss, wenn appelliert wird, politische Fragen aus dem Genre rauszuhalten. Cyberpunk ist auch per se kapitalismuskritisch und warnt mindestens in Teilaspekten immer vor Konsequenzen, die der Kapitalismus haben kann. Also ja, ich sehe den Gegenwartsbezug. Wäre der nicht da, wäre das Genre für die meisten Menschen vermutlich auch, zumindest unbewusst, sehr viel uninteressanter.

MK: Ein wichtiges Thema in „Code X“ sind Künstliche Intelligenzen. Wie betrachten Sie die reale Entwicklung in unserer Gegenwart? Eher skeptisch oder optimistisch? Und inwiefern haben Sie diesen Bereich für den Roman recherchiert?

LF: Man muss dazu sagen, dass Künstliche Intelligenzen, wie sie in Code X auftreten, Fantasiekonstrukte sind. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass KIs tatsächlich ein Bewusstsein entwickeln können, selbst, wenn sie lernfähig sind (was KIs heute ja bereits sind). Ich denke, dass KIs uns in Zukunft sehr viel Arbeit abnehmen können, deswegen bin ich gespannt, was sich da entwickelt, ich bin aber nicht übermäßig tief in dem Thema drin. Besonders viel recherchiert habe ich speziell für den Roman nicht, eben auch weil die KIs, wie sie auftauchen, sich so extrem von echten Künstlichen Intelligenzen unterscheiden, und das ist ganz bewusst so gewählt. Sie stellen auch explizit nichts dar, was ich in Zukunft von Künstlichen Intelligenzen erwarte oder befürchte.

MK: Was ist Ihnen wichtig, dass die Leser bei Ihren Romanen mitnehmen? Auf was legen Sie beim Schreiben besonders viel wert?

LF: In allererster Linie möchte ich, dass meine Leser*innen sich gut unterhalten fühlen. Das Schönste Gefühl ist, wenn Menschen sagen, dass sie das Buch kaum weglegen konnten oder es nach dem Lesen noch in ihnen nachschwingt. Etwas, was ich meiner eigenen Einschätzung nach noch viel besser schreiben könnte, sind zwischenmenschliche Beziehungen. Das ist etwas, worauf ich viel Wert lege, wo ich meinen eigenen Ansprüchen aber noch lange nicht genüge.

MK: Was gibt Ihnen den Inneren Antrieb zu schreiben?

LF: Meine Leser*innen, tatsächlich. Ich spinne Geschichten in meinem Kopf, aber sie aufzuschreiben, das tue ich hauptsächlich, damit andere sie lesen können. Man könnte also sagen, mein Ego ist mein Antrieb. Manchmal hilft es mir aber auch einfach beim Denken. Ich denke schreibend sehr viel besser.

MK: Was darf beim Schreiben keinesfalls fehlen – abgesehen von Rechner, Schreibmaschine oder Stift?

LF: Ich bin da tatsächlich sehr genügsam. Snacks finde ich meist zum Beispiel total störend, weil ich es ganz schlimm finde, mit schmutzigen Fingern an meine Tastatur zu gehen. Aber meine Notizen brauche ich schon!

MK: Wer oder was hilft, wenn es mal schwierig wird, weiterzuschreiben?

LF: Entweder mein Freund oder Kolleginnen, je nachdem, wer gerade erreichbarer ist oder worum es geht. Ansonsten: Ablenkungen ausschalten. Ich lasse mich ganz leicht ablenken.

MK: Lieber akkurat durchplanen oder erst mal drauflosschreiben?

LF: Ich bin eher die Planerin, wobei ich mich da im Moment irgendwie in einem Mittelfeld befinde. Manchmal plane ich nämlich so viel, dass ich das Schreiben darauf vergesse, und das kann auch nicht gut sein.

MK: Wer ist Ihr erster Leser?

LF: Früher war es mein Freund, aber bei Code X war es, ganz ehrlich gesagt, meine Lektorin. Das Buch ist unter so viel Deadline-Stress entstanden, dass ich keine Zeit hatte, es noch irgendjemand anderem zu geben.

MK: Welche Tipps würden Sie jungen Autoren geben, die ebenfalls in diesem Genre aktiv werden wollen?

LF: Ich weiß, es hört sich total banal an, aber das Wichtigste ist immer noch zu schreiben. Egal in welchem Genre. Wenn man Autor*in werden will, ist das Allerwichtigste immer, Text zu haben. Ein Manuskript ist immer mehr wert als Kontakte, Follower, riesige Ordner mit Recherchen oder sonst was. Leider ist das auch ein bisweilen sehr schwieriger Teil.

MK: Werden wir für einen Moment etwas ernster. Ich höre immer wieder von „Fans“, dass sie nie ein Sci-Fi-Buch von einer Frau lesen würden, weil diese zu wenig Verständnis für Technik hätten, zu viel Romantik einbauen und allgemein den Fokus auf uninteressante Details legen würden. Ich weiß jetzt nicht, ob Sie persönlich das auch schon gehört haben, aber was sind Ihre Gedanken dazu?

LF: Oje, da bin ich aber froh, dass ich solche Kommentare selbst noch nicht bekommen habe. Ich hab dazu eigentlich nur einen Gedanken: Bullshit. Und mehr Raum möchte ich solchen unqualifizierten Kommentaren in meinem Kopf auch gar nicht lassen.

[Anmerkung von MK: Solche Kommentare sind konkret aufgetaucht, als man vor ein paar Jahren auf Social Media versuchte die amerikanischen Sci Fi Autorinnen Elizabeth Moon und Martha Wells im deutschsprachigen Raum zu promoten.]

MK: Kommen wir wieder zurück zu Ihrem Buch. Die Werke von Autoren sind meistens von den eigenen Erfahrungen und Lebensumständen geprägt. Wie ist das bei Ihnen in Bezug auf „Code X“?

LF: Oh, ich glaube, das ist bei mir eher selten der Fall. Meine Ideen entstehen meistens eher aus Träumereien, selten aus eigenen Erfahrungen. Aber meine Sichtweisen fließen natürlich ein, und ich denke, dass Code X meine eigene Faszination zu Technik widerspiegelt: Auf mich wirkt das, was die Menschheit mithilfe von Technik auf die Beine gestellt hat, oft wirklich wie Magie. Und ich denke, diese Sichtweise ist in das Buch eingeflossen.

MK: Was lesen Sie denn eigentlich selbst gerne? Haben Sie ein Lieblingsbuch?

LF: Ich lese im Moment super wenig und höre hauptsächlich Hörbücher. Ich glaube nicht, dass ich ein Lieblingsbuch habe, aber ich habe vor allem früher „Die Drachenkämpferin“ von Licia Troisi sehr geliebt, alles, was Jenny-Mai Nuyen geschrieben hat, und die Percy Jackson-Reihe habe ich in den letzten Wochen mit viel Liebe nochmal gehört!

MK: Was machen Sie als Ausgleich zum Schreiben? Wie aktivieren Sie Ihre kreative Ader?

LF: Puh, schwierig. Ich zocke viel, aber ob das jetzt meine kreative Ader aktiviert? Kreativ werde ich eher, wenn ich mir Zeit nehme, kreativ zu sein. Ob ich mich jetzt hinsetze und Ideen sammeln will, oder mich ins Bett lege und etwas vor mich hinträume. Aber einen richtigen Ausgleich könnte ich jetzt nicht benennen. Ich glaube, alles, was nicht Schreiben ist, kann ein Ausgleich sein.

MK: Wenn Ihnen ein Flaschengeist ermöglichen würde, einen Tag irgendwohin zu reisen, egal wohin (auch eine Zeitreise wäre möglich), was würden Sie sich dann wünschen und warum?

LF: Diese Frage geht gerade an die größte Stubenhockerin der Welt, aber ich glaube, ich würde schon gern mal in die Vergangenheit reisen, vielleicht ins Mittelalter, um mir mal all die Sachen anzugucken, die Leute für „historisch korrekt“ halten, und denen dann eine lange Nase zu drehen!

MK: Ich danke Ihnen für das Interview und das Schlusswort gehört Ihnen.

LF: Danke für das Interview!

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